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4. Kinderbücher ab 12 J

Budde, Nadia: "Such dir was aus, aber beeil dich: Kindsein in zehn

Kapiteln. Frankfurt: Fischer, 2010. - 192 S., ab 12 J.

ISBN 3596808324

Das Buch von Nadia Budde "Such dir was aus, aber beeil dich" wurde 2010 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis, Sparte Jugend

buch, ausgezeichnet. Das Buch handelt von einer Kindheit in der DDR.

 

Dziewas, Dorothee: Eine kleine Lady: Harriet Beecher-Stowe - die Frau, die "Onkel Toms Hütte" schrieb. - Gießen: Brunnen Verl., 2011. -       S.; 11,99 €; ab 13 J

 

Mit gut recherchiertem Faktenwissen gespickt ist die Biographie der Anglistin, Lektorin, Übersetzerin und Autorin Dorothee Dziewas über Harriet Beecher-Stowe, die Frau, die "Onkel Toms Hütte" schrieb und

deren Geburtstag sich am 14. Juni 2011 zum 200. Male jährte.

Dziewas schildert ausführlich wie Harriet im Hause eines orthodoxen calvinistischen Pastors mit acht Geschwistern in Neuengland aufwuchs. Sie galt zunächst als Problemkind, konnte jedoch schon mit sechs Jahren fließend die Bibel lesen und daraus rezitieren.

An der privaten Mädchenschule ihrer elf Jahre älteren Schwester wird sie unterrichtet und später selbst dort Lehrerin. Doch Harriet weiß, dass sie mehr Talente besitzt und schreibt nebenher Gedichte und Kinderbücher.

Als 1833 ihr erstes Buch erscheinen soll, ein Erdkundebuch für Kinder, ist sie tief verletzt, da es unter dem Namen ihrer älteren Schwester herauskommt. Enttäuscht zieht sich Harriet von der Schule zurück und macht mit einer Freundin eine Reise durch Kentucky, einem Sklavenhalterstaat am Rande der damaligen Union. Diese Erlebnisse sind es vor allem, die sie 20 Jahre später in ihrem berühmtesten buch "Onkel Toms Hütte" verarbeitet. Doch zunächst widmete sie sich der Hausarbeit, ihrem Mann und den Kindern. Sie hatte den Theologen Calvin Stowe geheiratet, von dem sie sieben Kindern bekommen wird. Erst nach der Geburt des letzten Kindes beginnt sie wieder zu unterrichten und zu schreiben, da die finanzielle Situation ihrer Familie sie dazu zwingt.

Es ist das Jahr 1850, in dem in den Nordstaaten der Union ein Gesetzt herauskommt, welches anordnet, dass entflohene Sklaven auch dort ergriffen und ihren Eigentümern zurückgebracht werden müssen. Dagegen erhebt sich Widerstand in den Nordstaaten, angeführt von der Abolitionisten-Bewegung in Neuengland, die die Abschaffung der Sklaverei sofort und wenn nicht anders, auch mit Gewalt fordert.

Die Frau ihres Lieblings-Bruders Henry in Boston, fordert Harriet auf, bei ihrem Schreibtalent, etwas zu schreiben, das die ganze Nation aufrütteln kann. Und Harriet beginnt mit der Erzählung "Onkel Toms Hütte", die sie in zehn Folgen in der renommierten Zeitung "National Era" veröffentlichte. 1852 erfolgte dann die Herausgabe als buch in einem kleinen Bostoner Verlag. Ein Buch zur rechten Zeit, am rechten Ort! Das Buch wird ein Bestseller in den Nordstaaten, eine Kampfschrift im Sezessionskrieg, und ein Bestseller auch in Europa, wo es ebenfalls Bewegungen gegen die Sklaverei gab. Als

Harriet Beecher-Stowe 1853 ihre erste Europareise nach England unternimmt, wird sie von englischen und schottischen Adligen zu Vortragsabenden auf deren Schlösser eingeladen und erfährt 

viel Sympathie und wird hoch geschätzt. Kein einziges ihrer 30 weiteren Bücher hat auch nur annähernd solch einen Erfolg. Doch

Harriet Beecher-Stowe bleibt auch über dieses Thema hinaus politisch aktiv; sie kämpft für die Berufsfreiheit und das Wahlrecht der Frau.

Dorothee Dziewas ist es in dem handlichen Band gelungen, emotional, faktenreich und flüssig die Leser mit Harriet Beecher-Stowes Leben, ihrer Liebe, ihrem Glauben und ihrem Engagement vertraut zu machen. Ebenso mit den Bedingungen ihres Umfelds und den Themen ihrer Zeit. Die Person der Autorin wirkt lebendig und frisch, manchmal sogar sehr modern, wenn es beispielsweise um die Frage: schriftstellerische Existenz oder Mutter-Dasein geht. Ein erweitertes Kalendarium mit Erläuterungen im Anhang zu politischen Ereignissen und Bewegungen der Zeit, hätte den Band sicher noch sinnvoll ergänzen können. Dennoch, eine spannende Biografie für alle, die das buch "Onkel Toms Hütte" irgendwann einmal gelesen haben. Aber auch ein Anstoß, dieses Buch weider einmal in die Hand zu nehmen, das auch heute noch erscheint: u. a. als Taschenbuch im dtv Verlag, München 2009 und als gebundenes Buch im Verlag Ueberreuter, Wie 2010 und als ebook bei kindle 2011. (SBE,6/2011)

 

Gaarder, Jostein: Noras Welt. - München: Hanser, 2013. - 187 S.; 14,90€; ab 12 Jahren

 

In dem Jugendbuch des bekannten und vielfach ausgezeichneten norwegischen Autors Jostein Gaarder steht Nora kurz vor ihrem 16. Geburtstag am 12.12.2012. In intensiven Träumen sieht sie durch Nova, die ihre Urenkelin ist, die Zukunft im Jahre 2084, in Anlehnung an Orwells Buch "1984". Und das, was sie sieht, schockiert und ist doch nicht so weit von der Gegenwart entfernt, dass diese Zukunft nicht vorstellbar wäre. Karawanen von Klima-Flüchtlingen mit Dromedaren ziehen durch den andauernden Regen Norwegens, Tierarten und Pflanzen sterben im Sekundentakt. Dafür gibt es grüne Automaten, in denen sich die Menschen Videoclips mit ausgestorbenen Tieren ansehen können. Und in Den Haag gibt es den internationalen Tierpark, der virtuell an die ausgestorbenen Ökosysteme erinnert. Nova aus dem Jahre 2084 beschört Nora in ihrer Zeit, diese Entwicklung zur Vernichtung des Planeten zu stoppen. Nora bereit und gewinnt ihren Freund Jonas dazu, eine Umweltorganisation an der Schule zu gründen. Durch Zeitungsartikel und im Internet besorgt sich Nora Informationen über die Erderwärmung, den Klimawandel, den Raubbau von Bodenschätzen und das Sterben von Tierarten und Ökosystemen. Dieses Wissen wird in dem Buch als Artikel, Schulaufsatz oder Brief weiter gegeben. Wobei die Kapitel zwischen Nora und Nova stetig wechseln. Der Autor will jugendliche Leser aufklären und für das Thema der Umweltkatastrophe interessieren und wachrütteln, selbst etwas zu tun. 

Auch wenn die Handlung etwas sparsam bleibt, ist es ein interessantes und wichtiges Buch, das alle Probleme zu dem thema zusammenfasst, und jungen Menschen Denkanstöße vermittelt. Der Titel ist gut geeignet in den Schulen zu den Themen Klimawandel und Artensterben zu diskutieren.

 

Gebhart, Ryan: Bärenschwur/ Aus d. Engl.. - Hamburg: Aladin Verl., 2015. - 252 S. - 14,90€                                                              ab 12 J

 

Tyson ist 13 Jahre alt und empfindet sich als der größte Looser von Colorado. Sein bester Freund Brighton trifft sich jetzt lieber mit den Jungen des Footballteams. Den Test hat er auch versaut und bei den Mädchen kommt er auch nicht an, weil er sich nicht traut. Wenn er erst mit dem Großvater auf Wapitijagd gegangen ist, wird er erwachsener und cooler sein. Doch der versprochenen Jagd stellen sich Hindernisse in den Weg. Der Großvater muss von heute auf morgen in ein Altersheim im benachbarten Staat Wyoming. Das einzige mit Dialysezentrum in näherer Entfernung, denn Großvaters Nieren geht es schlecht. Dennoch will er sein Versprechen, den Bärenschwur, halten. Die beiden verabreden an einem Wochenende die Wapitijagd im Bridger Teton -Nationalwald. Den Eltern erzählt Tyson von einem Camping-Ausflug nach Idaho, wo es keine Grizzlys gibt. Vorher schafft er aber noch mit Hilfe seiner kleinen Schwester den Test und auch Karen, die Neue aus Texas anzusprechen.

Die detaillierte Wapitijagd, an deren Ende die gefährliche Begegnung mit der gereizten Grizzlybärin Sandy steht, ist ein spannendes Abenteuer. Den Sechsender -Wapiti hat Tyson genau nach den Anweisungen des Großvaters erlegt und ausgeweidet. Ebenso verhält er sich nach den Vorschriften, als der Grizzly auf ihn zukommt.

Eine spannende Geschichte, in der Detailkenntnisse über die Jagd und den tierschutz in den USA vermittelt werden. In der es aber auch um Probleme eines Heranwachsenden geht und um eine Familie mit vielen Geheimnissen, die ans Licht kommen. Für Tyson gibt es trotz der engen Beziehung zu seinem Großvater ein Nachdenken, ob er auf eine so gefährliche Jagd hätte gehen müssen. die auch schief gehen konnte, wie in dem Falle des 13 jährigen, der Sandys Junges aus Angst erschossen hatte.

"Bärenschwur" ist in Inhalt und Sprache ein ausgesprochenes Jungenbuch. Der Autor Ryan Gebhard ist 1982 in Ohio geboren und hat an der Ohio-State-University Spanische Sprache studiert und hat selbst ein Jahr als Ranger in einem wildpark in Wyoming gearbeitet.


Peter Pohl: Nennen wir ihn Anna. - Ravensburg: Ravensburger, 1991 u. 1998.      S.; ab 12 J


Das schmale Buch von Hermann Schulz "Warum wir Günter umbringen wollten" erinnert sofort an Peter Pohls umfangreicheres Jugendbuch "Nennen wir ihn Anna". Nicht nur wegen des Themas

"Mobbing unter Schulkindern" in beiden Büchern, sondern auch in der distanzierten Erzählweise.

Peter Pohl, Jahrgang 1940, ist heute einer der bekanntesten schwedischen Jugendbuchautoren. In seiner Regenbogen-Trilogie ("Der Regenbogen hat acht Farben", "Wenn der Regenbogen verblasst" und "Nennen wir ihn Anna") schildert er die Entwicklung des Jungen Micke. In dem letzten Band "Nennen wir ihn Anna" steht der vierzehnjährige blasse, ein wenig mädchenhaft aussehende Anders, der von den anderen Jungen "Anna" gerufen wird, im Mittelpunkt. Wie einst Micke auch, wird er gemobbt. Doch beide verkraften ihre leidvollen Kindheitserfahrungen unterschiedlich.

Micke findet im Sport einen Weg, da gestählt herauszukommen. In "Nennen wir ihn Anna" steht er kurz vor dem Abitur und ist Sportleiter in dem Sommercamp, wo Anders elf Tage später als die anderen Jungen als Neuer eintrifft.

Das Sommercamp, ein Arbeits- und Freizeitlager, wird die Hölle für Anders, in dem er von seinen Zimmergenossen schikaniert und gequält wird, immer stärker. Der Einzige, der ihm Schutz und Halt geben kann, ist Micke. Aber auch er kann nicht ganz für Anders dasein und will auch die Verantwortung für den Jungen nicht übernehmen, weicht ihm am Ende aus. Da Anders auch zu Hause bei seinen Problemen keine Hilfe findet, vom Vater als "Weichei" gedemütigt wird, setzt er nach dem Sommercamp seinem Leben ein Ende.

Die Geschichte wird aus der Sicht von Micke in einer durchgehenden Du-Ansprache an Anders erzählt. Ein emotional aufrüttelndes Buch mit autobiographischen Zügen, das von Peter Pohl in die Zeit der 50 er Jahre versetzt wurde, obwohl er die Zeit der 80er meinte. Und leider ist das Buch, über 25 Jahre nach seinem Erscheinen, noch immer brandaktuell, was die vielen Vorfälle von Mobbing und Gewalt in den Schulen hierzulande und Ereignisse wie der Tod von Johnny K. auf dem Berliner Alexanderplatz belegen. 

Peter Pohls Buch ist gut geeignet für Gespräche im Unterricht über das Thema "Mobbing in der Schule".


Hermann Schulz: Warum wir Günter umbringen wollten. - Hamburg: Aladin Verlag, 2013. - 156 S., 14,90€; ab 12 J


Hermann Schulz wurde 1938 in Ostafrika geboren. Er war viele Jahre Verlagsleiter des Peter Hammer Verlages in Wuppertal, bevor er 1998 als Autor von inzwischen vielfach ausgezeichneten Romanen und Jugendbüchern hervortrat.

In dem Jugendbuch mit dem verstörenden, aber treffenden Titel

"Warum wir Günter umbringen wollten", erzählt er von einem Geschehen, das autobiographische Züge trägt.

Es ist das Jahr 1947 in einem norddeutschen Dorf bei Lüneburg. Zu den angestammten Bauernfamilien sind zwangseingewiesene Familien aus Ost- und Westpreußen, aus Schlesien und anderen ostdeutschen Provinzen in das Dorf gekommen. Sowohl die einheimischen Kinder als auch die Kinder des Flüchtlingstrecks haben viel Schlimmes erlebt, während des Krieges, der Vertreibung und der harten Nachkriegszeit. Und jedes Kind verarbeitet diese eigenen oder berichteten Erlebnisse anders.

Günter ist mit dem Treck aus Ostpreußen gekommen und kann nur noch stockend sprechen. Er wird von den anderen Kindern für blöd gehalten, verlacht und gequält. Meist geht er allein nach hause. Doch an diesem Nachmittag schließt er sich der Freundesgruppe um den zwölfjährigen Leonhard aus Schlesien an. Vielleicht will er dazu gehören? Vielleicht nur nicht immer allein sein? Und Günter will die gruppe auch dann nicht verlassen, als Leonhard ihn dazu auffordert. Freddy, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, warnt ihn leise. Sagt, dass es besser wäre, wenn Günter jetzt verschwinden würde. Doch Günter antwortet nichts und bleibt. Aber heute wollen die Jungen einem Bauern einen Streich spielen, Eier und ein Huhn stehlen, da können sie den blöden Günter nicht gebrauchen. Sie fangen an, ihn zu demütigen, dann stecken sie ihn unter eine umgekippte Lore und werfen schwere Feldsteine dagegen. So lange bis sie genug haben. Am Ende holen sie Günter wieder hervor, der mit beiden Händen seine Ohren festhält und davon läuft.

Wochenlang kann er nicht in die Schule kommen. Im Dorf weiß man, dass etwas Schlimmes mit Günter passiert ist. Aber sie wissen nicht, wer es getan hat, denn Günter hat die Jungen nicht verraten.

Trotzdem schwört Leonhard die Gruppe darauf ein, dass sie Günter verschwinden lassen müssen, wenn er zurückkommt. Denn irgendwann wird er sie verraten.

Freddy ist nicht wohl bei dem Gedanken und auch der kleine Dietrich

möchte nicht mitmachen, die Brüder Erwin und Walter aus Westpreußen vielleicht auch nicht und Manni ebenso. Doch keiner wagt es , sich gegen Leonhard, den Anführer, zu stellen oder außerhalb der Gruppe. Freddy plagen die meisten Gewissensbisse. Er ist mit Günter nach dessen Rückkehr aus dem Krankenhaus schon richtig gut ins Gespräch gekommen über sein Pferd Lotte, denn mit Pferden kennt sich der Junge aus Ostpreußen aus. Freddy versucht mit Erwachsenen darüber zu sprechen, die ihn jedoch nicht von seiner Verantwortung befreien wollen. Schließlich bittet er Luise vom Nachbarhaus, die bei den Dorfjungen anerkannt ist, mit dem Karabiner seines Onkels auf Leonhard zu zielen, wenn der seinen Plan ausführen will. Doch dann kommt der aus russischer Gefangenschaft heimgekehrte Kriegskamerad von Günters Vater an dem Moorloch vorbei, wo er auf die Jungen trifft...

Hermann Schulz hat einen spannenden Jugendroman geschrieben, wobei sich die Spannung hauptsächlich aus den inneren Konflikten der Kinder ergibt, insbesondere bei Freddy, der unentwegt darüber nachdenkt, ob diese Tat gerechtfertigt wäre und ob er selbst da mitmachen sollte. Doch auch Freddy schafft es nicht, sich außerhalb der Gruppe zu stellen, aber er trifft vorsorge, dass Günter nicht verschwinden darf.

Der Autor zeigt trotz ihres grausamen Planes auch Verständnis für die Jungen, die selbst unter der Gewalt von Kriegserlebnissen, unter Hunger und strenge Züchtigung gelitten haben und leiden. Harte

Prügelstrafen und die Verfrachtung in eine Erziehungsanstalt sind die Perspektive für die Jungen, wenn herauskommt, wer Günter gequält hat. Deshalb bleiben sie an Leonhards Seite.

Mit der spannenden Handlung um das geplante Verbrechen der Kinder, schildert der Autor in charakteristischen Details die Schwere der Nachkriegszeit und verwebt sie auch mit dem unaufgearbeitetem Kriegsgeschehen.

die Hamburger Illustratorin Marie Louisa Witte schuf zehn doppelte Bildseiten zu dem Buch, die den Text jeweils unterbrechen. Es sind dunkle, schwermütige und schemenhafte Bilder von der nordeutschen Moor- und Heidelandschaft, sowie von Tieren und Menschen. Sie begleiten die Schwere des Lebens und der Konfliktsituation in dem Bauerndorf.

ein Glossar erläutert einige Begriffe aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Ein wichtiges Buch, das sich für Diskussionen über Mobbing in der schule und über die Zeit eignet.



Janne Teller: Alles, worum es geht/ Aus d. Dän. übers. - München: Hanser, 2013. - 142 S.; 12,90€; ab 14 J


In acht über längere Zeit entstandene Erzählungen schildert die dänische Autorin Janne Teller Situationen, die in Gewaltausbrüchen von Kindern und Jugendlichen enden. Dabei geht sie vor allem der Frage nach, wie es dazu kam, was in den Seelen der jungen Menschen vor sich ging und welche äußeren Umstände die Tat begünstigten: Da entdeckt ein Heranwachsender, dass sein Vater der Kinderprostitution nachgeht und flieht mit den beiden jüngeren Geschwistern in eine völlig unsichere Existenz nach Mexiko, um die beiden vor dem Vater zu schützen. 

In "Warum" wird ein Jugendlicher aus einem gesicherten Elternhaus und mit guten Schulnoten, der einen Gleichaltrigen mit einer Eisenstange niederschlug, nach seinen Motiven befragt. Ein Mädchen, das endlich einmal auf einer Türkei-Reise mit dem Vater allein sein kann, wird Zeugin wie der Vater einen türkischen Teppichhändler erniedrigt.

In "Lollipop" passt ein einsamer Junge auf einem Baum auf, damit der ihm nicht abhanden kommen kann, wie schon seine Katze und der Vater. Als er eine kleine Freundin findet, hat er so große Angst, sie wieder zu verlieren, dass er, um ihren Wunsch nach Lollipops zu erfüllen, den Kaufmann niederschlägt, der ihm die Lollipops ohne Bezahlung nicht geben will.

Mit unterschiedlichen Stilmitteln, großer Knappheit und beeindruckender Intensität zwingt Janne Teller zum Nachdenken und Diskutieren über Anpassung und Ausgrenzung, Integration und kulturelle Unterschiede, Identitätsuche, Gewalt und Rache, Mord und Todesstrafe, Zuwanderung, Träume und Irrtümer. Ihre Geschichten gehen unter die Haut, doch sie geben keine Antworten, aber ethische Anstöße und fordern heraus, selbst Stellung zu nehmen. Ein essayistischer Text zu Prozess und Grundlage ihres schriftstellerischen Schaffens und ein Nachwort beenden den Band.

Janne Teller ist für ihr Jugendbuch "Nichts" (2001), das inzwischen in 25 Sprachen übersetzt wurde, in zahlreichen Ländern ausgezeichnet worden. Und auch ihr Buch "Krieg - Stell dir vor, er wäre hier" (2011) ist bereits in viele Sprachen übersetzt worden.

Bevor Janne Teller Autorin wurde, war sie viele Jahre als UN-Krisenberaterin tätig.



Budde, Nadia (Autorin, Illustratorin), Deutschland

Dziewas, Dorothee (Lektorin, Übersetzerin, Autorin), Deutschland

Gaarder, Jostein (Autor), geb.    Norwwegen

Gebhart, Ryan (Autor), USA

Pohl,        Peter (Autor), geb.1940 in Dt., Schweden

Schulz,    Hermann (Autor), geb. 1938 Ostafrika. War langjähriger

                 Leiter des Peter Hammer Verlages Wuppertal

Teller,      Janne (Autorin), Dänemark

Witte,      Marie Louisa (Illustratorin), Hamburg


Osterspecial 2021

Die ersten weißen Kniestrümpfe

                                                                     by   Sybille B. Lindt

Als ich ein Kind war, lebte ich in einer Kleinstadt am Rande des Oderbruches, wo Temperaturen von -20° C im Winter keine Seltenheit waren und eine dichte Schneedecke ebenso. Doch wenn der Schnee zu tauen begann, wir nicht mehr die Berge herunterrodeln konnten und alle ungepflasterten Wege matschig wurden, dann sehnten wir Kinder uns nach  dem Frühling. Nach Vogelgesang und den ersten Schneeglöckchen und Veilchen. Danach, dass es endlich wärmer wurde und wir die ersten Kniestrümpfe anziehen durften. Tragen Kinder heute eigentlich noch Kniestrümpfe? Vielleicht unter Hosen? In meiner Kindheit in den 50 ern trugen wir sie stolz. Denn wenn die Zeit der Kniestrümpfe begann, konnten wir uns von den ausgebeulten Trainingshosen und den warmen Strickstrümpfen, die an Leibchen befestigt wurden, endlich befreien.

Wenn es um den 1. April herum warm war, dann durften wir am ersten Sonntag im April weiße Kniestrümpfe anziehen. Darauf waren wir Kinder des Neubaus sehr stolz. Und bedauerten die Ärmsten, denen die Mütter noch keine Kniestrümpfe erlaubt hatten. Wenn es Anfang April noch zu kalt war, dann wurde Ostern der Termin für die ersten weißen Kniestrümpfe.

Wir freuten uns auch auf die ersten Kniestrümpfe, weil das der Beginn unserer Spielzeit vor dem Haus und auf dem Hof mit den Nachbarskindern bedeutete. Wir endlich unsere spiele nach draußen verlegen durften. Vor dem Haus spielten wir Hopse mit Glasscherben, mit Buggern und Murmeln oder "Herr Fischer, Herr Fischer, wie tief ist das Wasser" und "Wer fürchtet sich vorm Schwarzen Mann?", mit dem Ball "Halli-Hallo!", Ballspiele an der Hauswand und abends mit den Großen Völkerball auf der Straße. Nur selten verirrte sich damals ein Auto in unsere Kleinstadt. Völkerball war ein Wettkampf für alle, Groß und Klein spielten in einer Mannschaft. Die Mütter, einige Väter und Nachbarn standen vor den Haustüren beisammen, tratschten und feuerten uns beim Spiel an. Auf dem Hof des Neubaukarrees standen viele unübersichtliche Schuppen und Holzstapel, ideal zum Versteckspiel. An unserer Ecke hatte Großmutter eine Trauerweide gepflanzt unter der wir Kinder uns auf Decken im Grase zusammenfanden, mit unseren Puppen spielten, Bücher lasen oder darüber sprachen. Es war damals noch eine Zeit ohne Fernseher, CD-Player, Computer, Workman und Smarthphone und doch fehlte uns nichts, wenn wir nur ohne die Erwachsenen spielen durften. Wir waren so mit dem Spielen beschäftigt, dass die Zeit bis zum Abendbrot, wenn Großmutter zum Essen rief, uns immer viel zu kurz vorkam.

Zu Ostern machten wir tatsächlich immer einen Osterspaziergang mit der Familie. Als meine jüngere Schwester und ich so im vorschul- und Grundschulalter waren, spazierten unsere Eltern Ostern mit uns in das fünf Kilometer entfernte Nachbardorf Gusow, um dort eine mit den Eltern befreundete Lehrersfamilie zu besuchen. Dort war es immer lustiger als bei uns zu Hause. Der Vater spielte volkstümliche und lustige Lieder auf der Geige, die wir Besucher-Kinder begeistert mitsangen. Sicher hatte dieser begnadet leicht spielende Lehrer seinen Anteil daran, dass ich später auch das Geigenspiel erlernen wollte. Es aber nie zu seiner Vollkommenheit brachte. Einfach so, die Geige zu nehmen und aus dem Hut, locker und mit viel Gefühl und Temperament aufzuspielen, ganz ohne Noten. Unterwegs gab es für uns Kinder natürlich immer das eine oder andere Osterei am Straßenrand zu suchen. Die plötzlich auftauchten, ohne dass wir bemerkten, ob der Osterhase oder Mutter sie versteckt hatten. Wenn wir wieder nach Hause kamen, waren wir mit fünf oder sechs Jahren zehn Kilometer am Tag gelaufen. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir mal schlapp machten oder die Strecke als anstrengend empfanden. Wir wussten damals allerdings auch nicht wie weit der Weg war, wie viele Kilometer wir gelaufen. Als das nette Lehrerehepaar aus dem Dorf wegzog, machten wir mit der älteren Schwester und unseren Verwandten, die aus Berlin oder Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt oder aus einem Dorf bei Magdeburg Ostern zu Besuch gekommen waren, auf der Anhöhe vor der Stadt einen Osterspaziergang. Wir streiften durch die Berge bis zum 

weit sichtbaren Ehrenmal, für die bei der letzten großen Schlacht vor Berlin im Oderbruch gefallenen Sowjetsoldaten. Den riesigen bronzenen Soldat mit einem Gewehr vor der Brust schuf der bekannte russische Bildhauer Lew Kerbel im Herbst 1945. Das Denkmal, wie die Einheimischen das Ehrenmal nannten, war ein beliebtes Foto-Motiv bei Spaziergängern, ohne dass wir uns als Kinder des Hintergrundes bewusst waren oder drüber nachdachten. Der Berg mit dem Ehrenmal, der in den Abendstunden gern von Liebespaaren aufgesucht wurde, hieß bei den Einheimischen "Verschönerungsberg". Nach dem Denkmal spazierten wir zum Bahnhof, der zwei Kilometer von der Stadtmitte entfernt war und setzten uns in das Gartenlokal des Bahnhofs, das oft mit bunten Glühbirnen, Birkenreisern und Lampions geschmückt war. Hier bekamen wir Kinder die ersehnte himbeerrote Brause. Die Ostereier hatten wir schon unterwegs in den Bergen gefunden, sie lagen plötzlich im Grase als bunt gefärbte Eier oder winzige Schokoladen-Eier oder kleine Schoko-Osterhasen. Auch bei diesen Spaziergängen durch die Berge über das Denkmal zum Bahnhof und wieder in die Stadt zurück merkten wir Kleinen die Kilometer in den Beinen nicht.

Auch zu Ostern trugen wir stolz unsere weißen Kniestrümpfe. Ein Malheur war nur, wenn wir beim Spielen und Toben in eine Dreckpfütze stolperten und mit völlig verschmutzten nicht mehr weißen Kniestrümpfen nach Hause kamen. Dann schimpfte Mutter uns aus, obwohl es doch Ostern war und sie das hätte voraussehen könne. Mit weißen Kniestrümpfen so zu spielen, dass sie nachher noch schneeweiß aussahen, das schaffte kein Kind aus unserem Haus.

 

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